Aktueller Stand am Südzulauf
SWZ | Südtiroler Wirtschaftszeitung | 24. Januar 2020
Bozen – Jedes Gipfeltreffen zum Brennerverkehr ist in den letzten Jahren mit der Aussage zu Ende gegangen, dass der Warentransport auf die Schiene verlegt werden muss. In großem Stil möglich ist das nur, wenn die dafür notwendigen Infrastrukturen geschaffen werden, nämlich eine leistungsfähige Bahnstrecke und Umschlagterminals. Am Herzstück der neuen Brennerbahn, dem 57 Kilometer langen Brennerbasistunnel (BBT), wird gearbeitet; er besteht aus zwei getrennten Hauptröhren, Probe- und Zugangsstollen, sodass insgesamt 230 Kilometer Tunnel gegraben werden müssen. In acht Jahren sollen die ersten Züge rollen. Weniger gut schaut es mit den Zulaufstrecken aus. Im Norden hat Österreich einen Großteil seiner Hausaufgaben gemacht: Die Strecke Kundl/Radfeld–Baumkirchen (40 km, davon 34 im Tunnel) ist in Betrieb, ebenso die Umfahrung Innsbruck. Nördlich von Kufstein ist Bayern jedoch arg in Verzug, und im Süden ist bloß bis Waidbruck alles klar. Das an das Südportal des BBT anschließenede Baulos Franzensfeste–Waidbruck besteht hauptsächlich aus dem 15,5 Kilometer langen Schalderer Tunnel und dem knapp 6 Kilometer langen Grödner Tunnel. Das interministerielle Komitee für die wirtschaftliche Planung (CIPE) hat das nötige Geld (1,52 Milliarden Euro) schon 2017 endgültig freigegeben. Die aktualisierten Kosten belaufen sich auf gut 1,6 Milliarden). Ziel ist es, diesen Abschnitt gleichzeitig mit dem BBT fertigzustellen.
Die Umfahrung von Bozen und der neue Bozner Bahnhof
Für die 14,4 Kilometer lange Umfahrung von Bozen (Kardaun – Branzoll) wurde im Jahr 2003 das Vorprojekt vom CIPE genehmigt. Angestrebt wird dessen Umsetzung Hand in Hand mit der städtebaulichen Neugestaltung des Bozner Bahnhofsgeländes. Veranschlagte Baukosten: 852 Millionen.
Aber wie geht es dann weiter? Tatsache ist, dass die gesamte Strecke vom Brenner bis Verona 218 Kilometer umfasst. Nach dem Stand der Planungen sollen davon 196 Kilometer (90 Prozent) in Tunnels verlaufen, nur 22 Kilometer oberirdisch. Die Strecke ab dem Südportal des Basistunnels ist 189 Kilometer lang, davon entfallen 167 Kilometer auf ein halbes Dutzend Tunnels. Auch sie bestehen aus je zwei getrennten Röhren. Einschließlich Erkundungs- und Querstollen müssen rund 600 Kilometer Tunnel gegraben werden!
Für die Zulaufstrecke im Südtiroler Unterland gibt es eine Machbarkeits-studie aus dem Jahr 2009. Demnach soll die Bahn im Anschluss an das Südportal der Umfahrung von Bozen in der Nähe von Branzoll rasch wieder in einem Tunnel verschwinden – immer im Berg auf der orografisch linken Talseite. Bezüglich einer zweiten kurzen Freistrecke bei Auer bzw. Neumarkt gibt es Meinungsverschiedenheiten. Jedenfalls wird die Bahn etwa vier Kilometer vor der Landesgrenze wieder in einem Tunnel
geführt, der erst auf Trentiner Landesgebiet endet. Die über zehn Jahre alte Kostenschätzung nennt für die Strecke durch das Unterland einen Betrag von zwei Milliarden Euro. Derzeit läuft das Verfahren zur Eintragung in die Bauleitpläne, das sich in die Länge zieht, da manche Gemeinden starke Bedenken (Gefährdung der Trinkwasserversorgung) haben. Sobald dieser Schritt gesetzt ist, kann die Planung in Angriff genommen werden. Das Trentino ist mit den Zulaufstrecken auf seinem Gebiet nicht weiter als Südtirol im Unterland. Es gibt eine Machbarkeitsstudie, mehr nicht. Zumindest steht jetzt die Eintragung der Umfahrung von Trient in die Bauleitpläne in Aussicht. Herzstück des 80 Kilometer langen Trentiner Abschnitts (davon 70 im Tunnel) sind die Umfahrungen der Städte Trient und Rovereto. Die Bahn kommt in einem zwölf Kilometer langen Tunnel mit zwei Varianten von Südtirol ins Trentino; acht Kilometer dieser „Galleria Corona“ liegen auf Trentiner Gebiet. Bei San Michele all’Adige endet dieser Tunnel, und die Strecke wird einen guten Kilometer lang oberirdisch geführt. Bei Nave San Felice beginnt dann die Umfahrung von Trient im Berg, immer auf der orografisch linken Talseite. Sie ist insgesamt 20 Kilometer lang und endet bei der Ortschaft Acquavica südlich von Mattarello. Von diesem Tunnel zweigt auf der Höhe des Eingangs zum Val Sugana der 4,1 Kilometer lange Tunnel Buonconsiglio ab, der zum Scalo Filzi führt, wo der neue Bahnhof von Trient entstehen soll.
Ab dem Südportal des Tunnels Trient ist eine 3,6 Kilometer lange Freistrecke bis zur Ortschaft Murazzi nördlich von Bresenello vorgesehen, wo dann die Umfahrung Rovereto beginnt. Für diese „Galleria Zugna“ wurden am Südausgang drei Varianten vorgesehen, wobei jener der Vorzug gegeben wurde, die am weitesten südlich (bei Serravalle südlich von Mori) mündet und rund 20 Kilometer lang ist. Für den anschließenden Tunnel, die „Galleria Fittanze“, gibt es ebenfalls drei Varianten, so dass er zwischen 18 und 21 Kilometer lang wird und Ala sowie Avio umfährt, um bei der Ortschaft Peri in der Provinz Verona in die bestehende Strecke einzumünden. Der Veroneser Abschnitt ist 34 Kilometer lang, und die Machbarkeitsstudie sieht ebenfalls die Errichtung langer Tunnels vor. Von Peri geht es im Berg unter Sant’Ambrogio di Valpolicella hinweg bis Pescantina bei Bussolengo. Ab dort umfasst der letzte Teil der Neubaustrecke bis zum sogenannten „Quadrante Europa“ in Verona eine Länge von 9,8 Kilometern, davon sind etwa fünf Kilometer Tunnel in offener und geschlossener Bauweise vorgesehen. Die Realisierung dieses Abschnittes hat die Schienennetzgesellschaft Rfi in die Hand genommen. Die Anbindung an das große Terminal „Quadrante Europa“ ist von großer Bedeutung, denn über dieses werden sowohl der internationale Güterverkehr von und nach Nord- sowie Mitteleuropa über den Brenner als auch die Verkehrsströme von und nach Frankreich und Spanien sowie in osteuropäische Länder abgewickelt.
Das Problem: Diese Einrichtung hat bereits heute ihre Kapazitätsgrenzen erreicht! Wenn die gesamte neue Brennerbahn fertiggestellt sein wird, kann sie nur dann bedeutend mehr Waren auf Containerzügen befördern, wenn eine entsprechend leistungsfähige Struktur zum Warenaustausch zwischen Straße und Schiene geschaffen wird.
Wird der Staat für die hohen Kosten der langen Tunnels aufkommen?
Das zweite Problem sind die enormen Kosten für den Bau all dieser vielfach bis zu 20 Kilometer langen Tunnels. Wenn der Abschnitt Franzensfeste–Waidbruck mit 21,7 Kilometer Tunnels gut 1,6 Milliarden kostet (und am Ende dürften es mehr sein), dann dürften die restlichen gut 145 Kilometer zusammen mit den Anbindungen (etwa von Trient und dem dortigen teilweise unterirdischen neuen Bahnhof) sowie den Freistrecken an die 15 Milliarden kosten – gerechnet immer zum heutigen Ausgangswert. Bis zur Fertigstellung in vielleicht 15 Jahren dürften sich die effektiven Baukosten deutlich erhöhen.
Die positive Nachricht: Die EU will für 40 Prozent der Kosten aufkommen.
Die gesamte Strecke ist auf drei Ausführungsteile aufgeteilt, und es gibt vier prioritäre Lose, nämlich Franzensfeste–Waidbruck, Umfahrung Bozen, Umfahrung Trient und Pescantina–Verona. Weitere Baulose sind
Waidbruck–Blumau, Branzoll–Trient Nord, und Rovereto–Pescantina.