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Präsident des BDI zieht falsche Schlüsse beim Brennernordzulauf

Leserbrief zum Artikel „Vorfahrt für den Brenner-Tunnel“ SZ
Prof. Dr. Roland Feindor,
Rosenheim 19.12.2020

https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/forum-vorfahrt-fuer-den-laengsten-eisenbahntunnel-der-welt-1.5152478

Dieter Kempf hat in seinem Forums-Artikel vom 19.12.20 zu Recht auf die Bedeutung der Brenner-Verbindung für den europäischen Handel hingewiesen. Leider hat er sich mit den konkreten Problemen der bisher vorliegenden Planungen nicht beschäftigt und daher grundlegend falsche Schlüsse gezogen.

Die Kernaussage „Technisch notwendig sind die Modernisierung der bestehenden Trasse sowie der Bau zwei neuer Gleise.“ widerspricht fundamental den Tatsachen. Die bestehende Strecke ist TEN-fähig und hat (auch nach den Gutachten der Bahn und des Bundesverkehrsministeriums) schon im Ist-Zustand eine Kapazität von 252 Zügen pro Tag, bei Optimierung (z.B. durch digitale Zugsteuerung) eine von mindestens 352 Zügen pro Tag. Derzeit (vor Corona) wird die Strecke von ca. 160 Zügen pro Tag genutzt. Es ist also auf der bestehenden Trasse genug Platz für eine erhebliche Erhöhung der Zugzahlen. „Mehr Güter auf die Schiene“ benötigt keine neuen Gleise, sondern neue Konzepte. „Der Bau zweier neuer Gleise“ ist offensichtlich nicht erforderlich.

Die Aussage von Herrn Kempf, die Fahrzeit München- Verona würde von derzeit rund sechs Stunden auf drei Stunden halbiert, ist sehr phantasievoll. Die offizielle Kosten-Nutzen-Betrachtung der Bahn sieht eine Verkürzung der Reisezeit um ganze 7 Minuten vor.

Auch mit der Behauptung „mobilisierter Partikularinteressen“ und der Unterstellung „Einzelne Umweltvertreter wollen das Projekt gar nicht. Sie wollen nichts abwägen oder ausgleichen, sie wollen verhindern“ liegt Herr Kempf weit neben den offensichtlichen Tatsachen. Es gibt ein breites Bündnis von 17 Bürgerinitiativen mit mehr als 5000 Mitgliedern.  Mehr als 30.000 Menschen haben eine Petition gegen die geplanten Neubautrassen unterschrieben und mehr als 30.000 Einwendungen gegen das Raumordnungsverfahren sind eingereicht worden. Auch einstimmige Beschlüsse von Kreistag und Stadtrat gegen die neuen Trassen sprechen gegen „Partikular­interessen“.

Zwei entscheidende Faktoren bei der Diskussion um die Neubautrassen hat Herr Kempf überhaupt nicht erwähnt.

Erstens: ein viergleisiger Nordzulauf macht überhaupt keinen Sinn, wenn der Südzulauf durch Südtirol und Norditalien zweispurig bleibt. Das ist aber Tatsache.

Zweitens: die Summe der Nutzen einer Baumaßnahme sollte immer über den Gesamtkosten liegen. Laut einer Kosten-Nutzen-Analyse der Bahn liegen die Gesamtnutzen aber sogar unter 80% der Gesamtkosten.

Insgesamt wäre es einfach unverantwortlich, für unnötige Gleise viele Milliarden auszugeben und unnötig und unwiederbringlich wertvolle Natur zu zerstören.

Man kann dem BDI nur wünschen, dass sich Siegfried Russwurm, der Nachfolger von Herrn Kempf, intensiver und kompetenter mit dem Thema beschäftigt.
Prof. Dr. Roland Feindor, Rosenheim